Thimbleweed Park

Firma:
Terrible Toybox
Jahr:
2017
System:
PC (Linux)
Genre:
Adventure
Tags:
Cartoon & Comic / Humor / Krimi / Polizei & Verbrecher / Science Fiction
Sprachen:
Englisch / Französisch / Italienisch / Spanisch / Deutsch
Mittlere Wertung:
4/5

Bericht von Mr Creosote & Herr M. (24.12.2017) – PC (Linux)

Die „Retro“-Gelddruckmaschine

[Herr M.] Ach, die gute alte Nostalgie! Was gibt es Schöneres, als leicht melancholisch dazusitzen und über vergangen Zeiten zu sinnieren? Früher war vieles, wenn nicht gar alles, besser: Die Farben bunter, die Sprüche lockerer, die Verben umfangreicher. Wir waren mit so wenig schon so zufrieden, was brauchte es da mehr als Pieps, Pixel und Bizarres?

[Mr Creosote] Eben jene nostalgischen Gefühle anderer lassen sich heutzutage in bare Münze verwandeln. Zumindest, wenn man einen von damals bekannten Namen besitzt, denn sonst geht man ja in der Masse der Kickstarter-Versuche unter. Ron Gilbert und Gary Winnick, bekannt aus Lucasfilm-Tagen, hatten da natürlich wenig Probleme.

[Herr M.] Schließlich waren sie ja mitunter eine der Ursachen dieser verklärten Erinnerungen an höchst geniale Spiele. Und auch wenn es in den letzten Jahren (wenn nicht Jahrzehnten) vergleichsweise ruhig um sie geworden war, haben sie nach wie vor einen gehörig guten Ruf. Diesen, in der gerade immer noch fröhlich blühenden Retro-Welle, zu nutzen, lag auf der Hand. Überraschend ist höchstens, dass es vergleichsweise lange gedauert hat.

[Mr Creosote] Immerhin ist das Spiel, anders als so viele andere, aber fertig geworden. Thimbleweed Park nennt es sich. Draußen ist es bereits seit ein paar Monaten und der große Anfangshype ist damit vorbei. Aber wir sind ja bekannt dafür, Spiele erstmal gut abhängen zu lassen, bevor wir uns zu ihnen äußern ;)

[Herr M.] Es wäre ja sonst auch müßig von „old games“ zu sprechen. ;) Aber, wo du das fertig werden erwähnst: Ehrlich gesagt, habe ich mit den meisten Wiederbelebungsversuchen von alten Spielserien bzw. dem Wiederauftauchen von ähnlichen Designer-Legenden, so dermaßen schlechte Erfahrungen gemacht, dass mich Thimbleweed Park sehr überrascht hat.

[Mr Creosote] Wo bist du denn beispielsweise reingefallen?

[Herr M.] Ach, die Liste ist fast schon zu lang, aber nur zum Vergleich (und um die ewige Konkurrenz nie zur Ruhe kommen zu lassen) seien hier nur mal die Sierra-Ableger erwähnt. Außer dem Fertigwerden, hat das heute diskutierte Spiel den meisten Kickstartern und Nostalgie-Vertretern aber meiner Ansicht nach noch eine andere wichtige Sache voraus: Es gab ein klar erkennbares Designziel, das tatsächlich sehr auf oben erwähnte Nostalgie aufbaut.

Unklare Erwartungen

[Mr Creosote] Ich muss sagen, dass ich diese Kickstarter-Welle nicht mehr verfolge. Von daher sind große Enttäuschungen auch ausgeblieben. Bei Thimbleweed begann es ja mit einem kleinen Videotrailer, der nur drei Charaktere auf einem statischen Bildschirm und eine Aktion in einem an SCUMM angelehntes Interface zeigte. Wenige Sekunden, aber genug, die Massen zu aktivieren.

[Herr M.] Meine Reaktion darauf war aus oben genannten Gründen doch sehr zurückhaltend. Ein paarmal sind mir Screenshots untergekommen, die zwar extrem stimmig wirkten und den alten Charme sehr schön einfingen, aber ich wusste nicht so recht, was ich davon halten sollte.

[Mr Creosote] Ich fand den Gag mit dem Gummitier und der Leiche schon sehr gelungen. Extrem zynisch, wie es eigentlich damals garantiert nicht durchgekommen wäre. Viel mehr habe ich von den Teasern dann auch gar nicht mehr gesehen; ich habe die Entwicklung kaum mehr aktiv verfolgt. Insofern war meine naive Annahme, dass es hierbei ein Spiel handeln wird, das optisch den Charme alter Favoriten aufnehmen und vor allem sich eben auch so spielen wird.

[Herr M.] Da ging es mir ähnlich, wobei ich mir dachte, dass das so ein Spiel wie damals heutzutage doch recht langweilig sein müsste. Inzwischen hat sich doch Einiges getan in der Spielelandschaft und den alten Zauber würde man doch nur schwer einfangen können, wo man doch „besseres“ gewohnt ist.

[Mr Creosote] Also ein Spiel in einem Konfliktfeld gegensätzlicher Erwartungshaltungen. In manchen Belangen hast du da natürlich recht, allerdings ist mir das erst beim Spielen aufgegangen. Insbesondere beim Plot war ich dann plötzlich – entgegen meiner eigenen Vorsätze – doch kritischer als gedacht. Wollen wir vielleicht mal damit beginnen?

Tauchen wir ein…

[Herr M.] Besagte Handlung knüpft gleich an die Leiche im Trailer an: In einem kurzem Prolog erfährt man, woher diese kommt und schon stolpert man hinein in ein Mysterium, das – wie nicht anders zu erwarten – um Einiges weiter reicht als einfache Gummitierchen.

[Mr Creosote] Zwei zynische FBI-Agenten übernehmen die Untersuchung des Mordfalles, wobei dieser sich ehrlich gesagt als gar nicht mal das Seltsamste in dieser Stadt erweist. Sie ist nämlich praktisch verwaist, wobei andererseits Einiges auf eine glorreiche Vergangenheit hinweist.

[Herr M.] Eine verfallene Fabrik, ein verlassener Zirkus und jede Menge Bretter vor Fenstern bzw. Türen hinterlassen einen höchst melancholischen Eindruck (gekonnt unterstrichen durch eine ewige Dämmerung). Wie konnte es nur so weit kommen? Warum ist der Ort so verlassen? Das weckt gleich die Neugierde.

[Mr Creosote] Was allerdings, wie ich finde geschickt, erstmal noch gar nicht zum expliziten Thema gemacht wird. Was ich für einen recht modernen Ansatz halte: Die Umgebung erzählt ihre eigene Geschichte. Wie man es aus eventuellen Vorbildern wie Twin Peaks kennt, wo der Kriminalfall ja ebenfalls nur Vorwand war, die Zuschauer bei der Stange zu halten, und ihnen dann diverse Geschichten über die Stadt und ihre Bewohner zu erzählen.

[Herr M.] Ja, es ist mehr eine Stimmung als ein konkretes Erzählen. Sehr viel wird mit Bildern oder unscheinbaren Nebenbemerkungen vermittelt. Dieser Mangel an Exposition tut der Geschichte recht gut, weil sie sich dadurch recht organisch entfaltet und man Zeit hat sich einzuleben. Nach und nach erfährt man mehr.

[Mr Creosote] Und viele Details, die man erfährt, heizen das Interesse an. Beispielsweise war ich wirklich verblüfft über die technologische Grundlage dieser dortigen Gesellschaft. Wie es wohl dazu gekommen war, was die Konsequenzen dessen waren und sind. Um dann langsam zu realisieren, dass genau dies ein Puzzlestück der Erklärung ist, warum die Stadt in diesem Zustand ist.

[Herr M.] Ich nehme an, du meinst die dort immer noch vorherrschende Röhrentechnologie? Für mich ein Musterbeispiel für die herrlichen Macken, die der Stadt und ihrer BewohnerInnen Individualität verleihen.

Eine Stadt mit viel(en) Charakter(en)

[Herr M.] Und trotz der Ecken und Kanten hängen die Figuren und Schauplätze gut zusammen und bilden ein recht harmonisches Gesamtbild.

[Mr Creosote] Ja, die Figuren runden die Sache sehr gut ab. Ob nun die ohne erkennbaren Grund dauerverkleideten Klempner oder aber der Sheriff und der Leichenbeschauer, die ein und die selbe Person zu sein scheinen, dies aber rigoros abstreiten.

[Herr M.] Vergiss den „Drilling“, also den Rezeptionisten nicht. Alle haben sie Einiges zu erzählen, allerdings auf erfrischend effiziente Art und Weise: Ein paar Wörter genügen meist um sie zu umreißen. Was sie meiner Ansicht nach auch gleich interessanter macht, schließlich regen Lücken ja die Phantasie an.

[Mr Creosote] Apropos effizient: Auch Mulder und Scully… ähm… Ray und Reyes werden meines Erachtens super charakterisiert. Zwei Blicke, drei Sätze, dann weiß man, woran man bei den beiden gegensätzlichen Typen ist. Damit nicht genug: Beide enthalten sich gegenseitig, aber auch dem Spieler etwas vor, was ihre eigentliche Motivation, in die Stadt zu kommen, angeht. Ein super Anfang – ich war sofort begeistert, denn ein solches Stilmittel zeugt für mich sogar von großer Modernität!

[Herr M.] Ich fand die beiden im Gegenteil am Anfang sehr anstrengend, eben weil sie so heimlichtuerisch taten und auf mich clichéhaft wirkten. Die Abneigung reichte bei mir fast schon zum Abbruch, aber spätestens als der Sheriff und der Leichenbeschauer auftauchten hatte mich das Spiel doch überzeugt.

[Mr Creosote] Interessant, ich bin auch beinahe ausgestiegen, bevor ich überhaupt in die eigentliche Stadt kam, aber aus einem anderen Grund. Doch dazu später. An der Heimlichtuerei kann ich wirklich nichts clichéhaftes sehen. Es ist bis heute ein nur äußerst selten eingesetztes erzählerisches Stilmittel in Adventurespielen, zwischen Spieler und Protagonisten eine Wissenslücke zu konstruieren.

[Herr M.] Oh, das stimmt natürlich und es macht dann ja letzten Endes doch neugierig was denn nun ihre heimliche Agenda ist. Vor allem weil die immer wieder geschickt aufgegriffen wird und dabei jedes mal an Bedeutung gewinnt. Erwähnenswert ist aber, dass sie nicht die einzigen Protagonisten bleiben.

[Mr Creosote] Wobei ich damit weniger zufrieden bin. Zwei weitere Protagonisten werden jeweils in Rückblenden eingeführt, die sie eigentlich als Mordverdächtige motivieren sollen. Doch allein dadurch, dass sie damit spielbar werden, sind diese Verdachtsmomente damit automatisch hinfällig. Das schien mir nicht durchdacht.

[Herr M.] Ich stehe den beiden auch zwiespältig gegenüber, allerdings in einer anderen Hinsicht: Die eine Figur, Delores, stellt für mich die eigentliche Hauptprotagonistin dar, und deren verzögerte Einführung in die Handlung fand ich schon eine lustigen Kniff. Die andere, Ransome der Clown, trägt wiederum beinahe nichts zur Handlung bei und nutzt sich mit seinem ständigen Gefluche und Desinteresse extrem schnell ab.

[Mr Creosote] Wobei Ransome in seiner ersten Szene immerhin noch ganz witzig war. Es stimmt natürlich schon, dass er einer dieser typischen Protagonisten neuerer Tage ist, die ja immer irgendwie besonders extrem auf die eine oder andere Weise sein „müssen“.

Bei Delores verhält sich die Sache dagegen plottechnisch interessanter. Durch sie wird die Untersuchung sowohl des Mordfalles als auch des Geheimnisses der Stadt plötzlich grundlegend anders. Vorher geschah diese durch die Außenperspektive der FBI-Agenten. Nun bekommt man plötzlich eine Insiderin als spielbaren Charakter, was die Erzählung gründlich auf den Kopf stellt.

[Herr M.] Es verschiebt definitiv den Fokus und öffnet unerwartete Tür und Tor (sowohl handlungs- als auch spieltechnisch). Einen zweiten Moment gibt es, wo ich angenommen hätte, dass man sich einen ähnlich krassen Bruch traut, doch das entpuppt sich (wie erwartet) dann doch als roter Hering. Generell wird viel mit den Perspektiven experimentiert, die die ProtagonistInnen bieten.

[Mr Creosote] Wobei ich nicht sicher bin, dass all diese Perspektivenverschiebungen wirklich erfolgreich sind auf erzählerischer Ebene, da sie nur selten überhaupt auf jener reflektiert werden. Dass Delores eben beispielsweise neue Türen öffnet und auch neues Insiderwissen mit in die Waagschale wirft, wird nie explizit zum Thema gemacht. Von daher bin ich nichtmal sicher, ob die Designer sich dieser Konsequenzen wirklich bewusst waren.

[Herr M.] Nun, das liegt wohl an einer zweiten Eigenheit was die Spielercharaktere anbelangt: Sie kommunizieren nur extrem wenig miteinander, eigentlich nur das allernotwendigste und oft in Momenten wo man zumindest über einen von beiden keine Kontrolle hat (beispielsweise in den Zwischensequenzen).

[Mr Creosote] Ganz genau. Delores müsste eine Menge Wissen über die Historie und die Gründe der Röhrentechnik mitbringen, da sie immerhin die Nichte des ehemaligen Stadtpatriarchen und Chefs des großen Herstellers jener ist. Aber sie teilt dieses Wissen irgendwie nicht mit dem Spieler. Was sicherlich auch nur schwierig auf organische Weise möglich gewesen wäre. Andererseits war es für mich doch nur schwer zu verdauen, dass ich eine Figur spielen sollte, die einen solch offensichtlichen Vorsprung mir gegenüber hatte.

Bei Ray und Reyes existiert zwar ebenfalls wie erwähnt ein Gefälle, aber nur bezüglich etwas, das erstmal Nebensache ist (ihre verschwiegenen Ziele) und das Spiel reflektiert dies explizit. Damit war es für mich nicht nur akzeptabel, sondern sogar spannend.

[Herr M.] Ich fand es im Gegenteil eigentlich auch bezüglich Delores recht spannend, weil es trotzdem funktioniert. Was man unmittelbar wissen muss, wird einem indirekt mitgeteilt und so haben auch ganz banale Wortmeldungen ein bisschen mehr Bedeutung. So wird auch auf abgedroschene Amnesien oder das spielen von ausschließlich unwichtigen Figuren, die dann erst wieder genauso alles aufdecken und letzten Endes nicht mehr oder weniger wissen, verzichtet.

[Mr Creosote] Na ja, inwiefern ist Delores denn wirklich eine wichtige Figur (von Ransome mal ganz zu schweigen)? Letztendlich tut sie ja doch nichts, was Ray und Reyes nicht irgendwie anders auch hätten erreichen können. Hätte sogar noch zu ein paar Rätseln mehr gereicht dann, da sie sich eben Zugang zum Haus verschaffen müssten usw.

[Herr M.] Delores steckt mitten drin in der Sache und hat einiges mit den Geschehnissen zu tun. Aber ja, Ransome ist überflüssig, was aber vermutlich eine bewusste Entscheidung war. Eine dritte Perspektive eben, der wahre Außenseiter, was ihn in dieser Hinsicht vielleicht erst wieder interessant macht.

[Mr Creosote] Na ja, ich weiß nicht. Der Grund, Delores einzubauen, erscheint mir ein anderer, als wirklich mit der Erzählperspektive zu spielen. Vielmehr drängt sich mir der Eindruck auf, sie solle einfach an Bernard aus Maniac Mansion erinnern. Auch ihr Beruf, Spieleentwicklerin, macht sie unglaublich gefällig gegenüber der Zielgruppe. All das hat sie für mich zur unsympatischsten Protagonistin gemacht.

[Herr M.] Ich mochte sie eigentlich am meisten, vielleicht weil ich nerdige Frauen mag, oder auf die, zugegebenermaßen offensichtliche, Anpassung auf die Zielgruppe reingefallen bin. Mag sein, dass sie an Bernard angelegt ist, aber auf mich wirkte sie dennoch wie ein relativ unverbrauchter Stereotyp. Am ehesten hat mich da noch gestört, wie unfehlbar sie dargestellt ist.

[Mr Creosote] Zuguterletzt kommt noch der Geist des ebenfalls ermordeten Vater Delores', Franklin, als spielbarer Charakter hinzu. Der immerhin spielerisch eine ganz eigene Seite aufschlägt, da er physisch mit der Welt nicht interagieren kann.

[Herr M.] Was ihn rein spielerisch vermutlich zum abwechslungsreichsten Charakter macht, immerhin bricht er aus der üblichen „Betrachte“–„Nimm“–„Benutze“–Schablone aus. Leider hatte ich da aber den Eindruck, dass er, mehr oder weniger passend, die meiste Zeit mit Warten verbringt und sich sein Handlungsfaden nur sehr langsam weiterspinnt. Aber immerhin streunert er durch eine Parallelwelt der Geister… obwohl die auch ein wenig leer ist. Naja, ein nicht gerade aufregender Charakter, der aber meiner Ansicht nach bewusst so designt ist, weil er ja eben auch ein Langweiler sein soll.

[Mr Creosote] Klar, das ist so angelegt, dass er einen klassischen Erweckungsbogen haben soll auf charakterlicher Ebene: Duckmäuserischer Niemand lernt endlich, über sich selbst hinauszuwachsen. Nur geschieht das erst ganz am Ende, das auch nur optional, und seine Notwendigkeit für den Hauptplot ist ebenfalls beschränkt. Streng genommen hätte man ihn ziemlich ersatzlos streichen können.

[Herr M.] Die Frage ist allerdings (ebenso wie bei Ransome): Hätte man sie streichen sollen? Meiner Ansicht nach nein, denn so überflüssig sie auch für die Handlung scheinen mögen, oder so langweilig bzw. anstrengend sie sein mögen, sorgen sie dann doch für Abwechslung und ein wenig mehr Tiefe.

[Mr Creosote] Einerseits ja, andererseits schaden sie schlicht und einfach der Fokussierung. Ich bin mir sicher, das Spiel würde viel kürzer wirken ohne die beiden. Einfach deshalb, weil mehr Charaktere auch immer dafür sorgen, dass man mehr zum Ausprobieren hat. Was letztlich gerade bei dem Geist selten zu etwas führt, aber trotzdem tut man es, wenn man gerade nicht weiterweiß. Weniger Charaktere hätten den Suchraum verkleinert und die Frustphasen verkürzt.

[Herr M.] Gerade der vergrößerte Suchraum hat aber auch folgendes für sich: Man hat ständig den Eindruck es gibt etwas zu tun, und wenn man bei einer Figur gerade nicht weiterkommt, bieten sich immer die anderen an, wo man weiter experimentieren kann. Dadurch bleibt man seltener hängen, weil es immer so viel auf einmal zu tun gibt. Es wirkt auch irgendwie ein bisschen lebendiger oder organischer: Keine der Figuren agiert wirklich alleine und es überlappen sich ihre Handlungen ständig.

[Mr Creosote] …bis auf Franklin, der sich eben mit niemandem wirklich „überlappt“. Aber gut, alles nicht so schlimm.

Süße (?) Nostalgie

[Mr Creosote] Irritiert haben mich allerdings einige Rätsel, die wirklich 1:1 älteren Spielen entnommen waren.

[Herr M.] Zum Beispiel? Die Kettensäge?

[Mr Creosote] Der Kopf des Navigators…

[Herr M.] Achso, ja! Da fällt mir auch gleich wieder die Bibliothekssuche ein. Wobei da eben, wie die Kettensäge eher stört, dass die Anspielungen an ältere Spiele die Lösung viel zu leicht machen.

[Mr Creosote] Womit wir bei dem wohl prägendsten Aspekt des Spiels angekommen wären: der Metaebene. Direkt bei ihrem ersten Auftreten durchbrechen die FBI-Agenten bereits die vierte Wand, indem sie auf die Vorszene (bei der sie gar nicht anwesend waren) Bezug nehmen, was ich da noch ganz amüsant fand. Doch dabei bleibt es nicht. In jedem Bild steckt irgendetwas, das man „von früher“ kennt.

[Herr M.] Ja, wo das Gefüge durch das konsequente demontieren der vierten Wand ohnehin schon recht wackelig dasteht, wird es noch durch das Vollstopfen mit Referenzen beinahe gesprengt. Nostalgie schön und gut, aber das wird dann ein wenig zuviel des guten. Gerade noch lacht man über einen originellen Witz, und schon wundert man sich warum das schon wieder in einem müden Zitat aus der guten alten Zeit mündet.

[Mr Creosote] Ich möchte da eine klare Grenze ziehen: vierte Wand, in Ordnung, wenn es in sich geschlossen ist. Wie beispielsweise bei der anfänglichen, soeben genannten Bemerkung. Die zweite Ebene sind all diese Referenzen auf Technik und Popkultur der 80er Jahre. Für mich medial mittlerweile ziemlich ausgelutscht. Sobald es aber extrinsisch selbstreferentiell wird, kann ich das maximal in homöopathischen Dosen ertragen. Aber hier? Das Skelett gehört selbstverständlich einem Dr. Fred, an der Wand steht Ednas Telefonnummer mit dem altbekannten Spruch, Dave und Sandy (so sehr ich sie bescheuert fand im Originalspiel) betreiben einen Imbiss. Ein Hamster sitzt in der Mikrowelle. Kettensäge und Benzin, alles dermaßen alte Hüte – usw. usf. Und selbst mit dieser dritten Ebene ist noch nicht Schluss!

[Herr M.] Da kam mir wohl zugute, dass ich Maniac Mansion noch nicht gespielt habe, und daher zumindest einen Teil der Anspielungen nicht erkannte, trotzdem habe ich da genug mitbekommen, dass es mich verwundert hat. Obwohl es ja genug Anspielungen auf andere Vertreter aus dem Hause LucasArts gibt. Ich sage hier nur Chuck oder das „Mansion Mansion“… Man kann es aber auch ein wenig positiver interpretieren: Thimbleweed Park ist halt Maniac Mansion 3,

[Mr Creosote] Da bin ich mir nicht so sicher. Denn plötzlich befinden wir uns dann ja in den Tunnels unter Monkey Island 2 und auch die Geschichte endet ja entsprechend jener Reihe. Doch ich möchte noch auflösen, was mich am Anfang des Spiels gleich so auf die Palme gebracht hat, dass ich schon aufhören wollte:

Es ist die vierte und meines Erachtens schlimmste Metaebene. Auf der Zubringerstraße zur Stadt bekommt man eingeimpft, dieses Spiel sei von den legendären Personen designt, die das Adventure eigenhändig revolutioniert hätten, indem sie Frustfaktoren wie das Sterben abgeschafft hätten. Deshalb bla bla bla bla. Wohlgemerkt geschieht diese Selbstbeweihräucherung völlig ohne ironische Brechung. Und es geht weiter damit: „In einem Sierra-Adventure wäre ich jetzt tot“ verkündet ein Charakter. Mann, Mann… Dass Ron Gilberts Why Adventure Games Suck  einflussreich und richtungsweisend war, ist ja unbestritten, aber so wie es einem da mit dem Nürnberger Trichter verabreicht wird, aber es lässt jegliche Souveränität vermissen. Da werden Kämpfe ausgetragen, die vor Jahrzehnten irrelevant geworden sind!

[Herr M.] Dabei ist erwähnter Anfang noch Nichts gegen die Einführung von Delores: Die möchte nämlich Spielentwicklerin werden, selbstredlich bei der allerbesten Spielefirma, die es gibt. Ich denke ich brauche da nicht erwähnen, um welche hauchdünn bemäntelte es sich dabei handelt. Aber bist du dir sicher, dass es ironiefrei ist? Ich meine, der Humor haut bei mir in dieser Hinsicht auch nicht hin (von wegen Holzschlaghammer), aber wie ernst ist das?

[Mr Creosote] Ich sehe da nicht den geringsten Ansatzpunkt, es als Ironie zu interpretieren. Für mich ist es der Versuch, die Fanboy-Kultur zu bedienen. Es wirkt billig und selbstgefällig.

[Herr M.] Nun ja, es wirkt wohl vor allem deshalb so, weil eben sehr viel auf der Metaebene gesprochen wird. Nein nicht nur gesprochen sondern fast schon gepredigt wird. Ich glaube zwar zu verstehen warum sie das gemacht haben (und damit meine ich nicht die Selbstbeweihräucherung), aber wenn man dann bedenkt, wohin das Ganze führt wirkt das auf mich noch vergleichsweise harmlos. Dekonstruktion schön und gut, aber das ging mir dann doch eindeutig zu weit.

[Mr Creosote] Interessant ist diesbezüglich, dass (der Vorteil einer späten Rezension) mittlerweile ein Update hinterhergeschoben wurde, dass ein paar dieser Sachen aus dem Spiel entfernt. Es bleibt trotzdem eine Menge. Und überhaupt, ein Schritt, der mir trotzdem nicht gefällt. Denn was ich noch weniger mag, als Selbstbeweihräucherung, ist unsouveränes Abrücken von der eigenen kreativen Vision aufgrund von Kritikerstimmen. Irgendwie muss man dann schon dazu stehen, wie man etwas präsentieren wollte – ob es nun ankommt oder nicht. Sonst entlarvt man die eigene Vision nur als schwach und gibt sie der Beliebigkeit preis.

Alle Geheimnisse gelüftet

[Herr M.] Das Tragische daran ist aber, dass der Rest eigentlich schon sehr gut bis hervorragend ist. Wäre da nicht dieser unabschaltbare Entwicklerkommentar, würden die eigentlichen Stärken viel mehr zum Tragen kommen. Die Enthüllung des Mysteriums ist nämlich schon sehr spannend und wie gesagt gibt es einiges an Abwechslung.

[Mr Creosote] Tragisch, genau. Denn es gibt ja sehr wohl auch eine andere Seite des Spiels, den man ebenfalls in die klassische Ecke packen kann, ohne im Geringsten nervig zu sein. Das bislang Gesagte würde ich als [article=13]„retro“ im schlechtesten Sinne[/article] bezeichnen: Ein reines Verweisen auf die Vergangenheit aus purem Selbstzweck. Um allerdings den Bogen zurück zu unseren eingangs geäußerten Erwartungen zu schlagen: Das Spiel liefert sehr wohl ab, was klassisches Spieldesign angeht. Mit all den Qualitäten, die das impliziert, ohne im geringsten in die „Retro“-Falle zu tappen.

[Herr M.] Ja, entgegen meiner Befürchtungen hat es sich beim Spielen wirklich wie einer der Klassiker angefühlt. Irgendwie haben es die Entwickler geschafft der alten Formel treu zu bleiben und dabei die Magie am Leben zu erhalten.

[Mr Creosote] Ganz primär betrifft das für mich das Primat des Spielerischen über der Erzählung. Anders als beispielsweise bei Telltale, wo ja ebenfalls Ex-Lucasfilmler ihre Finger im Spiel haben, ist Thimbleweed Park nicht nur ein dünn pseudointeraktiv bemäntelter Animationsfilm.

[Herr M.] Ganz im Gegenteil: Das Medium Computerspiel wird hier deutlich besser ausgereizt. Auch wenn die Geschichte im großen und ganzen wohl genauso vorgeschrieben ist, hat man trotzdem so viel mehr Freiheiten. Man entscheidet selbst in welcher Reihenfolge man die Rätsel, die hier auch die Bezeichnung verdienen, auflösen will. Und die Geschichte wird auch durch diese Lösungen und das damit verbundene stete Voranschreiten erzählt.

[Mr Creosote] Genau das ist es, was mich dann trotz aller dunkler Seiten doch wieder positiv gestimmt hat: Es wird wirklich interaktiv erzählt, da Interaktion und Erzählung eins sind und nicht im Konflikt zueinander stehen. Zweitens gibt es eben überhaupt Rätsel…

[Herr M.] …faire noch dazu, die aber dennoch die kleinen grauen Zellen auf Trab bringen und eben zentraler Bestandteil des Spiels sind. Eine Szene wird mir diesbezüglich wohl lange in Erinnerung bleiben, ein Musterbeispiel von wegen gutem und schlechtem: Man geht im Verlauf des Spiels auf eine Con und trifft dort einen Spieledesigner, der voller Stolz ein Puzzledesigndokument aushängt. Da gibt es wieder die Keule von wegen „wir sind so toll“… und gleichzeitig musste ich dann doch nicken weil mir der Aufbau der Rätsel und ihr Verknüpfung im Nachhinein betrachtet ungemein gut vorkam.

[Mr Creosote] Das Spiel verfällt noch nicht einmal dem Fluch der 90er Jahre, als es plötzlich nach Myst nur noch „Puzzleboxen“ gab. Also Rätsel, die in einem in sich abgeschlossenen Bildschirm stattfinden und aufgesetzt wirken, sich meist mit irgendwelchen Simpelmechaniken beschäftigen. Nein, die Rätsel hier ergeben sich aus den Notwendigkeiten der Handlung über das reine „da ist eine verschlossene Tür“ hinaus (oder zumindest wird es besser bemäntelt) und die Lösungen der sind ebenfalls inhärent in der Welt zu finden. So gefällt das!

[Herr M.] Das ist es wohl auch, was die Klassiker, und hoffentlich auch Thimbleweed Park so zeitlos macht. Die Grafik und der Sound waren doch damals schon meist sekundär, dass was die meisten an den Bildschirm gebracht hat, war das Kniffeln, das Grübeln wie es weitergeht und wie einem das Spiel davon abhält weiterzukommen.

[Mr Creosote] Wie in jedem, selbst sehr guten, Spiel ist natürlich nicht alles Spielerische die absolute Offenbahrung. Man könnte jetzt zu Recht anmerken, dass beispielsweise Franklin immer nur das eine gleiche Verb benutzt. Oder dass bei recht vielen Objekten mit keinem der Charaktere manche Verben überhaupt angewählt werden können (wodurch man sich viele Spielantworten spart, aber auch Gagpotential verschenkt). Oder dass mehrere Protagonisten sich vielfach identisch äußern, weil man sich wohl weitere Schreibarbeit sparen wollte. Oder dass man doch mal speichern sollte, weil man sehr wohl sterben kann. Doch im Großen und Ganzen gesehen wäre solche Kritik kleinkariert; dies sind die Gründe, die Thimbleweed Park aus ganz hohen Wertungsregionen fernhalten. Man kann also durchaus behaupten: All das Eigenlob, das uns so bitter aufstieß, ist nicht völlig unberechtigt. Sie zeigen schon, wie es grundlegend richtig geht, lassen es nicht bei der Behauptung.

[Herr M.] Ja, für die Bestnote reicht es vielleicht nicht ganz, dennoch muss ich sagen, dass mein Gesamteindruck ungemein positiv ist und ich angenehm überrascht war den alten Adventure-Geist tatsächlich wieder aufleben lassen zu können.

[Mr Creosote] Ein fahler Beigeschmack aus den ausführlich erläuterten Gründen bleibt; selbst wenn man gute Leistungen abliefert, muss man darauf nicht in diesem Maße herumreiten. Aber trotzdem muss ich Alles in Allem zustimmen: Thimbleweed Park ist ein gutes Spiel, das mir in seiner Gesamtheit eine Menge Freude bereitet hat.

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