The House at the End of Rosewood Street

Firma:
Michael Thomét
Jahr:
2013
System:
Interpreter (Glulx)
Genre:
Adventure
Tags:
Sonstige Fantasy / Textbasiert
Sprache:
Englisch
Mittlere Wertung:
3.5/5

Bericht von Mr Creosote & Herr M. (29.10.2013) – Interpreter (Glulx)

[Mr Creosote] The House at the End of Rosewood Street ist ein Spiel, das bei vielen Spielern für Stirnrunzeln gesorgt hat. Ihm wohnt eine interessante Geschichte inne, es ist stilistisch gut geschrieben, aber funktioniert als Spiel so überhaupt nicht. So weit sind wir uns doch wohl einig, oder?

[Herr M.] Nun, außer man hat eine sehr weit gesteckte Meinung darüber, was denn nun ein „Spiel“, und nicht etwa doch recht mühsame Arbeit, ist, kann ich dem voll und ganz zustimmen. Wie jede Arbeit kann das ganz irgendwann Früchte tragen. Die berechtigte Frage ist aber, ob es das denn tatsächlich wert ist?

Mühsame Arbeit?

[Mr Creosote] Dann sollten wir vielleicht mal kurz erklären, was nun diese „Arbeit“ ist, die das Spiel so unglaublich nervig und mühsam macht: Die Erzählung erstreckt sich über sieben Wochentage, und es ist die Aufgabe des Spielers, jeden Tag allen Bewohnern (eine wechselnde Anzahl zwischen sieben und neun) persönlich die Tageszeitung an die Haustür zu liefern. Und das muss auch noch sehr kleinschrittig passieren: Alle Zeitungen aufsammeln, zu jeder Tür gehen, klopfen und die Zeitung persönlich übergeben.

[Herr M.] Dabei solltest du nicht vergessen zu erwähnen, dass das wirklich jeden Tag die (beinahe) gleichen Schritte erfordert. Nur kleinere Reparatur- und Einkaufsaufgaben sorgen für ein wenig „Abwechslung“. Diese gleichen sich aber wiederum so stark, dass man sie als eine Art Subroutine betrachten könnte. Ohne sie wäre das ganze vielleicht mit einem Makro, der Tag für Tag die gleichen Befehle reinklopft, innerhalb von Minuten lösbar. Also, sehr maschinell das ganze.

[Mr Creosote] Richtig, 95% der Spielzeit verbringt man wirklich nur mit diesen wenigen Standardaktionen. Es ist schwierig vorstellbar, dass der Autor dachte, dass dies interessant zu spielen sein könnte. Trotzdem möchte ich mal eine provokante These in den Raum werfen: Meines Erachtens sind alle Designentscheidungen richtig!

[Herr M.] Das kommt wohl sehr stark darauf an, was man als richtig erachtet. Was macht es richtig? Was hat sich der Autor bei diesem Design gedacht? Und hätte er einen ähnlichen Effekt auch mit anderen Methoden erzielen können?

Ist das noch normal?

[Mr Creosote] Letztes ist genau der Knackpunkt. Es ist so, dass diese surreale Erzählung sehr stark davon abhängt, dass der Spieler die subtilen, wie selbstverständlich in den Raum geworfenen Veränderungen bemerkt. Da taucht beispielsweise an einem Tag plötzlich ein ganz neues Haus auf, aber das Spiel sagt einem nicht „Achtung – was ist das? Dieses Haus war doch gestern noch nicht da! Du zweifelst an deinem Verstand.“ So hätte es eventuell ein schlechteres Spiel gemacht. Nein, es ist einfach da, und die Schlüsse muss der Spieler ziehen. Damit ein Spieler das Besondere bemerkt, muss man ihm erst das Normale vorführen und zwar so weit, dass er es verinnerlicht. Genau das tut das Spiel.

[Herr M.] Nun, dieses Etablieren eines fixen Ablaufs, das stete Wiederholen einer Szenerie, die dann als Kontrast zum Auftauchen des Ungewöhnlichen dient, mag durchaus vertretbar sein. Und ja es stimmt, dass dadurch das Auftauchen dieser Abweichen um einiges unmittelbarer, lebendiger und damit interessanter wirkt. Nur, wie weit muss man dieses Spielchen treiben? War das wirklich in einem solch exzessiven Ausmaß notwendig? Hätten es weniger Tage oder weniger Leute nicht auch getan?

[Mr Creosote] Das weiße Haus und seine Bewohnerin Elisabeth tauchen am vierten Tag auf. Früher hätte ich es für falsch gehalten, denn als Spieler hätte ich am ersten Tag nichts merken können und am zweiten oder dritten Tag wäre ich von einem Fehler meinerseits ausgegangen, also dass ich es an den zwei Vortagen wohl übersehen hätte. Es passiert also meines Erachtens zum frühestmöglichen Zeitpunkt.

Gleiches gilt für das erzwungene dauernde Abklappern aller Häuser: Dies muss sein, da man sonst keinerlei Veranlassung hätte, die Straße immer wieder neu komplett zu erkunden und immer wieder mit all den Leuten kurz zu reden. Denn dies sind ja jeweils die Ereignisse, die dann die Handlung vorantreiben, bspw. durch einen neuen kleinen Auftrag für den Spieler. Und auch die bereits früh einzuführen ist wichtig, damit, dass wird, wie diese Botengänge normalerweise laufen, um dann später auch hier die Ausnahme in dem einen entscheidenen Fall erkennen zu können.

[Herr M.] Bei acht Zeitungen und drei Tagen sind das stolze 24 Zeitungen, die man verteilen darf, ehe einem einmal was anderes als ein kaputter Toaster oder die Bestellung eines neuen Teekessels über den Weg läuft. Und im Grunde ändert es dann an der Routine nicht mal soviel. Vorerst ist es eben einfach nur noch ein Haus, das man besuchen muss, also noch mehr Arbeit.

Was hätte außerdem dagegen gesprochen, seine Nachbarn aus eigenem Antrieb heraus zu besuchen? Warum dieser Zwang mit den Zeitungen, warum den Spieler zu dieser absolut langweiligen Aufgabe zwingen? Hätte sich nicht auch mit einer sich überhaupt nicht verändernden Straße, wo nur die Zeitung sagt, dass sich draußen in der Welt was tut, ein ähnlicher Effekt erzielen lassen? Einer, bei dem man nicht endlos die gleichen Befehle eingibt?

[Mr Creosote] Dass es an der Routine nichts Entscheidendes ändert, und dass das ein Problem ist, bestreite ich ja nicht. Nur sehe ich eben keine Kompressionsmöglichkeit:

Davon etwas zusammenzulegen, hätte leicht zu falschen kausalen Schlussfolgerungen beim Spieler führen können.

Hätte man das besser hinbekommen?

[Mr Creosote] Was hättest du dir denn vorgestellt als anderen Grund, die Häuser zu besuchen?

[Herr M.] Wie wäre es mit der Neugierde des Spielers? Warum nicht darauf vertrauen, dass der Spieler auch ohne die Anweisung zig mal die gleichen Befehle einzugeben, sich daran machen wird seine Umgebung zu erkunden, seine eigene Routine etabliert?

[Mr Creosote] Dann empfehle ich dir mal, die Reviews der IF-Comp-Spiele der letzten zehn Jahre durchzuarbeiten: Davon auszugehen, dass irgendein Spieler das macht, ist tödlich. Die Erkundung aus Selbstzweck, selbst schon einmal, wird weitgehend abgelehnt und eine sich mehrfach wiederholende, ist keine akzeptable Annahme.

[Herr M.] Nun, so wie es aussieht, stößt aber auch dieses forcierte Erkunden nicht gerade auf besonders viel Gegenliebe. Vielleicht ist also schon der Ansatz, den Spieler ohne handfeste Motivation seine Umgebung absuchen zu lassen, falsch?

[Mr Creosote] Ja, das ist er. Und das ist meiner Meinung nach das große Dilemma des Spiels: Ohne diese wiederholte Erkundung, ob nun erzwungen oder nicht, funktioniert hier erzählerisch gar nichts. Jenes wiederholte Ablaufen macht das Spiel jedoch stinklangweilig. So dass ich absolut ratlos bin, was man hier entscheidend verbessern könnte.

[Herr M.] Einer guter Ansatzpunkt wäre meiner Ansicht nach ein triftiger Beweggrund gewesen: Man hat ja keinerlei Ahnung, warum man sich das ganze antut, außer das einem die Nachbarn (weil sie zu faul sind, die zwei drei Schritte zur nächsten Straßenecke zu gehen) scheinbar unendlich dankbar dafür sind. Und man sonst halt absolut nichts tun kann. Routine schön und gut, aber wenn ich nur darauf hoffen kann, dass sich vielleicht eines Tages etwas ändert, dann ist das einfach nicht genug.

[Mr Creosote] Ich denke, dass sich der Autor dabei dachte, dass das Mysterium um den ersten neuen Bewohner erstmal genug sei, um einen bei der Stange zu halten. Doch der verfällt leider praktisch sofort in das gleiche Verhalten wie alle anderen Bewohner der Straße: Sie sagen immer das gleiche, egal, was der Spieler tut. Das perfekte Beispiel ist dafür der grummelige Typ „oben rechts“ (um in der Terminologie des Spiels zu bleiben) an der Straße: Selbst nachdem man ihm einen zusätzlichen Gefallen tut, er also eventuell dankbar sein könnte, lässt er sofort wieder nur sein übliches „trampel nicht auf meinem Rasen herum“ ab. D.h. die wiederholten Besuche werden bezüglich Charakterentwicklung nicht belohnt.

[Herr M.] Gerade jener neue Bewohner, den ich anfangs durchaus interessant fand, und der scheinbar die Hauptattraktion sein soll, fällt aber völlig flach. Er hat noch weniger als alle anderen zu sagen und seine Charakterisierung beschränkt sich allein darauf, sich für den Protagonisten/die Protagonistin zu interessieren. Bei den anderen Nachbarn kann ich das noch verzeihen, ja passt es meiner Ansicht nach hervorragend ins Konzept: Es soll sich ja so wenig wie möglich ändern, damit die tatsächlichen Änderungen, die Ausbruchsmöglichkeiten stärker ins Gewicht fallen. Aber gerade dieser mysteriöse Fremde, der ja auch im Beschreibungstext als der Angelpunkt verkauft wird, ist noch fader als Zeitungsaustragen.

[Mr Creosote] Diesbezüglich sind wir uns also einig: Eine stärkere Ausarbeitung eines oder mehrerer Charaktere hätte helfen können. Jedoch glaube ich, dass auch das nur wenig am Gesamtbild geändert hätte: Die langweilige Routine hätte weiterhin jeden Spaß zerstört.

[Herr M.] Bei letzteren bin ich mir eben nicht so sicher. Ich habe das Spiel zweimal durchgespielt und fand es beim ersten mal unglaublich öde. Dabei habe ich einfach die Befehle runtergetippt, darauf gewartet, dass es Sonntag wird und geschaut was passiert.

Beim zweiten mal, war ich fest entschlossen daraus auszubrechen. Irgendwas hat dieses Spiel, zumindest bei mir, angesprochen, einen gewissen Ehrgeiz vielleicht. Das konnte doch nicht alles sein? Und mit diesem Willen, dieser handfesten Entschlossenheit war es auch gleich viel interessanter, die ganzen Abweichungen, jedes kleine Detail zu suchen, das ich aus Desinteresse links liegen gelassen hatte. Einer der Bewohner hat beispielsweise fast ein wenig Charakter. Er trägt jeden Tag einen neuen Button, und erzählt immer neues über irgendwelche altbekannten Probleme der Menschheit. Und eine der Damen murmelt immer etwas vor sich hin. Wenn man sie danach fragt, gibt es zusätzliche Informationen. Ich denke aber mal, dass einem all das nicht auffällt, wenn man sich eben nicht dafür interessiert, wenn einem nichts dazu verleitet, außer die Enttäuschung, dass sonst nichts passiert. Und ja, diese Suche hat durchaus Spaß gemacht.

Muss es denn überhaupt Spaß machen?

[Mr Creosote] Und da sind wir eben wieder bei dem Thema „Arbeit“: Wie schwer darf man es dem Spieler machen? Unter wie viel Routineaufgaben darf man die interessanten Aspekte verstecken? Dieses Maß ist hier leider sehr aus dem Gleichgewicht geraten. Nur liegen die Gründe dafür meines Erachtens in der Grundidee verankert. All die Kleinigkeiten, die wir nun genannt haben, sind für mich nicht überzeugend, die schreckliche Ödnis wirklich grundlegend zu vertreiben. Es handelt sich hier einfach um ein Design, dass jenseits jedes Rettungsversuchs ist! Was sich jetzt sehr negativ anhört, aber es ist gar nicht unbedingt so gemeint. Für mich stellt sich hier eher die Frage, ob das nicht eventuell tatsächlich akzeptabel sein könnte. Schließlich gibt es in allen anderen Medien ebenfalls Beispiele für anerkannte Werke, die bewusst nicht darauf setzen, eine angenehme Erfahrung für den Rezipienten zu bieten.

[Herr M.] Ein interessanter Gedanke, jedoch stellt sich mir da gleich eine (bewusst provokante) Frage: Verdient The House at the End of Rosewood Street so etwas wie Anerkennung? Wäre es nicht viel leichter zu sagen: bemerkenswerte Idee, nachvollziehbar, konsequent umgesetzt und mit genug Leidensfähigkeit vielleicht spielbar, aber im Grunde genommen völlig langweilig?

[Mr Creosote] Vielleicht ist es ja das Problem, dass hier ausgerechnet Langeweile die vorherrschende negative Emotion ist. Wenn ich beispielsweise an die Filme von Jörg Buttgereit denke, dann habe ich damit durchaus positive Konnotationen – obwohl ich sie, ganz deutlich gesagt, keinesfalls je wieder sehen möchte! Sie sind einfach extremst eklig und absurd, wodurch das Anschauen wirklich unangenehm wird. Trotzdem erwähnte positive Bewertung im Nachhinein.

Der Unterschied könnte also im Unterschied der damit verbundenen negativen Emotion liegen, oder auch daran, dass die interaktive Natur dieser Erzählform, im Gegensatz zu solcher passiver Berieselung, solche negativen Aspekte eben doch grundsätzlich nicht zulässt. Das kann ich jedoch nicht abschließend beurteilen.

[Herr M.] Gerade dieser Konflikt zwischen Langeweile und Interaktivität, dieses Vorführen der Grenzen der Interactive Fiction ist es doch, der dieses Spiel aber auszeichnet. Da es eine bewusste Designentscheidung ist, verdient es vielleicht gerade dafür ein gewisses Maß an Anerkennung?

[Mr Creosote] Das ist es, an dem sich die Mehrheitsbeurteilung Rosewood Streets meines Erachtens entscheiden wird. Es ist ein mutiges Design, aber eben keines, das spielerisch anspricht. Ob die Welt das will, werden wir sehen. Respekt verdient es jedoch schon allein dafür, dass es – in einem Wettbewerb voller Möchtegernanspruch – eine der wenigen Erzählungen ist, die tatsächlich ansatzweise einem literarischen Anspruch genügen.

[Herr M.] Ja, zumindest das Konzept beinhaltet tatsächlich einen gewissen Anspruch, der sich, je nach Geduld der Spieler, mehr oder weniger lohnen dürfte. Und wenn man sich darauf einlässt, ist es auch viel mehr als nur ein Paperboy in Textform. Mit diesem Gedanken im Hinterkopf ist es vielleicht ein bisschen „genießbarer“.

[Mr Creosote] Was es, das kann man trotzdem nicht häufig genug betonen, keinesfalls zu einem guten Spiel macht. Einem interessanten, aber keinem notwendigerweise guten.

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