Reisende im Wind

Andere Titel:
Reisende im Wind II / Passengers on the Wind [en] / Les Passagers du Vent [fr]
Firma:
Infogrames
Jahr:
1988
System:
Amiga (OCS)
Genre:
Adventure
Tags:
Umsetzung eines anderen Mediums / Cartoon & Comic
Sprachen:
Deutsch / Englisch / Französisch

Meinung damals

Das Adventure lebt von den Grafiken und den Dialogen zwischen den Personen sowie den vielfältigen Möglichkeiten, wie das Ganze wohl ausgehen mag. Die Atmosphäre ist sehr dicht.

Martina Strack, ASM 10/87 

Ich hatte mich schon nach zwei Stunden bis ans Ende des Adventures gespielt, ohne jemals irgendwie gefordert gewesen zu sein. […] Die langfristige Spielmotivation ist gleich Null.

Boris Schneider, Happy Computer 6/87 

Bericht von Mr Creosote (01.11.2020) – Amiga (OCS)

Die französische Comicreihe Reisende im Wind behauptet von sich, weltweit mehr als 3 Millionen Exemplare verkauft zu haben. Damit war sie natürlicher Kandidat für eine Computerspielumsetzung. Doch dabei stellt sich die ewige Frage: Wie verwandelt man eine lineare Erzählform in eine interaktive? Wie kann man einem wie auch immer gearteten Spieler genug Einfluss auf die Geschichte geben und gleichzeitig eine starke Dramaturgie beibehalten? Das Spiel Reisende im Wind könnte in Entwicklerlehrgängen glatt als Anschauungsobjekt dienen, wie man es nicht tun sollte. Oder als Warnung, warum man es lieber gar nicht erst angehen sollte.

Dabei ist der erste Eindruck gar nicht mal so übel. Große Abbildungen füllen den Bildschirm, wahrscheinlich nach den Comicbildern gestaltet. Im unteren Bereich findet das Spiel statt. Die Interaktivität liegt darin, pro Szene zwischen den anwesenden Charakteren hin- und herzuschalten und auszuwählen, wer als nächstes etwas sagen oder tun soll. Was man damit sagt oder sonstwie auslöst, ist allerdings meist (bis auf ganz wenige Ausnahmen, die die Sache allerdings nicht besser machen) nicht bestimm- oder sogar nur vorhersehbar.

So wird das „Spiel“ leider zu einer recht öden und potentiell frustrierenden Angelegenheit. Was man als Spieler tut, hat wenig bis gar keine Auswirkungen auf den Fortgang der Handlung. Zahlreiche „Game Overs“ geschehen ohne wirkliches Verschulden des Spielers, allein dadurch, das falsche Charakterbild ausgewählt zu haben. Und wenn direktes Scheitern nicht vorgesehen ist, dann ist das Vorankommen nur eine Sache des Durchprobierens aller Möglichkeiten. Was im Comic passiert ist, soll der Spieler bitte Schritt für Schritt genau nachvollziehen, weil es eben im Comic so passiert ist. Egal, ob es für einen unbedarften Spieler aus der Situation heraus Sinn ergibt oder nicht.

Wenn also schon spielerisch nicht viel geschieht, wie macht sich Reisende im Wind dann als Nacherzählung des Comics? Das Spiel scheint dem Originalplot zu folgen und versetzt den Spieler/Leser in das semi-populäre Genre des Historienkitsches kurz vor Ausbruch der französischen Revolution.

Immerhin wird ansatzweise visuell erzählt
Immerhin wird ansatzweise visuell erzählt

Doch für sich gesehen, gelesen und erlebt ist die Geschichte leider ziemlich unbegreiflich. An Stelle einer kohärenten, in sich geschlossenen Erzählung, besteht das Spiel aus einzelnen Szenen, zwischen denen zeitlich wie logisch große Sprünge eigenverantwortlich-gedanklich zu überbrücken sind. Selbst innerhalb der isolierten Szenen wird das, was dort wohl stattfinden soll, teilweise gar nicht bildlich illustriert, was dem Plotverständnis zusätzlich abträglich ist. Reiner Dialog mit einem Bild von Zeit zu Zeit erweist sich leider als nicht ausreichend; weder dafür, die Szene in sich zu begreifen, noch ihre Signifikanz für den Gesamtplot zu erfassen. Anscheinend war die Grundannahme, die Spieler werden mit den Charakteren, deren Verhältnissen zueinander sowie den Hauptplotschritten bereits vertraut sein.

Da so Identitäten, Ziele, Gefühle und überhaupt so ziemlich alles, was die Protagonisten ausmacht, wabernd im Ungefähren bleibt, fällt die Identifikation mit irgendjemandem schwer. Ohnehin kontrolliert der Spieler alle Charaktere gleichermaßen. Also neben den Protagonisten auch die jeweils kleinen Nebenpersonen jeder Szene. In gewisser Weise gibt man also den Schleimbeuteln und Vergewaltigern ebenso eine Stimme, wie man ihre Opfer „spielt“.

Kommt der Plot immerhin zu einem befriedigenden Abschluss? Gute Frage, zwar habe ich das Spiel bis zum Ende gebracht, aber trotzdem geht mir jegliches Verständnis, was da alles passiert sein könnte, ab… aber für den Fall, dass es Jemandem wirklich gefallen haben sollte, liegt die Nachfolgegeschichte (manchmal als Reisende im Wind II aufgeführt, wobei der Titelbildschirm allerdings wieder nur den Ursprungnamen ohne Zahl wiederholt) gleich in der schönen, übergroßen Packing mit bei, ebenso wie ein Schnuppercomic. Ratet mal, welche der beiden Beigaben unterhaltsamer ist. Kleiner Tipp: Die zweite Diskette spielt sich genau wie die erste.

Kurzkommentar von Mr Creosote (01.11.2020) – Passengers on the Wind – Amiga (OCS)

Die englische Version von Reisende im Wind leidet unter stellenweise unverständlicher Übersetzung.

Kurzkommentar von Mr Creosote (01.11.2020) – Les Passagers du Vent – Amiga (OCS)

Die originale Sprachversion von Reisende im Wind bzw. Passengers on the Wind kann man wohl als die beste bezeichnen. Rein relativ gesprochen.

Box

Amiga (OCS)

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Amiga (OCS)

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